Ein Korruptionsvorwurf, zu dem die SPD eisern schweigt (2024)

Die ehemalige Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci steht im Verdacht, Beruf und Privates unzulässig verquickt zu haben. Verstrickt sein soll eine mutmaßlich "SPD-nahe Werbeagentur".

Als Mitte Dezember die Griechin Eva Kaili, damals noch Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, unter Korruptionsverdacht festgenommen worden war, zeigte sich die SPD empört, forderte Aufklärung und generell mehr Transparenz in der Politik. Einhelliger Tenor: Bestechlichkeit im Amt gehe gar nicht. Kaili und andere Beschuldigte "vertreten keine sozialdemokratischen Werte", erklärte SPD-Chef Lars Klingbeil.

Wenige Tage später berichtete der "Tagesspiegel" unter der Überschrift "Korruptionsverdacht gegen SPD-Politikerin" über Ermittlungen gegen die frühere Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci, die zu dem Zeitpunkt schon etwas mehr als ein Jahr liefen, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfahren hatte. Vielleicht waren sie der Grund dafür, dass die Sozialdemokratin im Sommer 2021 - für Außenstehende überraschend - ihren Ausstieg aus der Politik publik machte. Der "Tagesspiegel" schrieb damals von Widerstand in Kalaycis SPD-Ortsverband, sie erneut als Kandidatin für die Abgeordnetenhauswahl im September 2021 zu nominieren. Im Parlament wurde Kalayci verabschiedet, als das Verfahren gegen sie kurz vor der Eröffnung stand oder gerade begonnen hatte.

Zwar haben die Brüsseler Vorwürfe eine weitaus größere Dimension und eindeutig mehr politische Sprengkraft. Dass die Sozialdemokraten aber eine mutmaßliche Korruptionsaffäre mit dem Mantel des Schweigens bedecken, in deren Mittelpunkt eine Ex-Spitzenpolitikerin aus ihren Reihen und eine "SPD-nahe Werbeagentur", wie es die CDU formuliert, stehen, passt nicht zum sonstigen Verhalten der Sozialdemokraten, wenn es um Vorteilsnahme oder Bestechlichkeit geht.

Die CDU kritisiert das Schweigen

Die SPD äußert sich öffentlich nicht zu dem Berliner Fall. Es ist nicht einmal bekannt, seit wann die Parteispitze um die Landesvorsitzende und Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey davon wissen und wie sie davon erfahren haben. Die Pressestelle der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus beantwortet keine Fragen zu dem Thema. Auch auf eine am Mittwochmorgen dieser Woche versandte Mail reagierte sie nicht.

"Kein Kommentar zum Ermittlungsverfahren, keine Erklärung zur Filz-Affäre ihrer Ex-Senatorin, kein Appell an sie, sich öffentlich zu erklären", hatte CDU-Generalsekretär Stefan Evers wenige Tage nach dem Jahreswechsel geklagt, um heute festzustellen, dass sich daran nichts geändert habe. Vor allem mittels parlamentarischer An- und Nachfragen versuchen die Christdemokraten, die Strategie der Sozialdemokraten zu durchkreuzen, das Problem zu ignorieren. Die SPD verlange "bei jeder Gelegenheit Transparenz und ist außer sich, wenn Korruptionsvorwürfe gegen die CDU laut werden, aber selbst schweigt sie".

6,7 Millionen Euro

Kalayci steht nach Darstellung der Staatsanwaltschaft im Verdacht der Vorteilsnahme, eine Spielart der Korruption. Bestechlichkeit liegt erst vor, wenn für einem Amtsträger ein Nutzen aus einer vorsätzlichen Verletzung der Dienstpflichten erwächst oder er damit rechnen kann, wobei schon die geäußerte Bereitschaft zur Kungelei strafbar ist.

Politik 23.12.22

Verdacht der Vorteilsnahme Ermittlungen gegen Berlins Ex-Gesundheitssenatorin

Die Sozialdemokratin soll nach Darstellung der Staatsanwaltschaft 2019 die Dienste einer PR-Agentur privat genutzt, aber nicht aus eigener Tasche bezahlt haben. Das Unternehmen betreute mit Beginn des Jahres 2020 für das Haus der damaligen Gesundheitssenatorin eine Pflege-Kampagne. Die Anklagebehörde prüft eine mögliche Verbindung von Leistung und eventueller Gegenleistung. Eine von Kalayci angeheuerte Anwaltskanzlei geht davon aus, "dass der Sachverhalt sich aufklären und das Verfahren eingestellt" werde.

Vergangenen April wurden Wohnungen und frühere sowie aktuelle Arbeitsstellen der Verdächtigen nach möglichen Beweismitteln durchsucht. Damals informierte die Staatsanwaltschaft die drei Senatsverwaltungen für Gesundheit, Arbeit und Justiz über das Verfahren, wie erst vor wenigen Tagen durch eine Antwort der Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der CDU bekannt wurde.

Der Inhalt der Auskunft hatte es in sich. Während Gesundheitssenatorin Ulrike Gote von den Grünen "aus Gründen des Geschäftsgeheimnisses" keine Angaben machen wollte, was die PR-Agentur durch Arbeit für ihr Haus zu Kalaycis Zeit verdiente, listete die Senatsverwaltung für Arbeit, die von der früheren Linke-Vorsitzenden Katja Kipping geführt wird, neun konkrete Aufträge samt Honoraren auf: Zwischen 2015 bis 2022 waren es alles in allem etwas mehr als 6,7 Millionen Euro. Der Offenlegung war die Drohung der CDU vorausgegangen, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen.

Verbindung zwischen Agentur und Ortsverband

Die besondere Brisanz ergibt sich daraus, dass Kalayci von 2011 bis 2016 Arbeitssenatorin war und es personelle Verbindungen zwischen der Werbeagentur und den Berliner Sozialdemokraten gibt. Eine Führungskraft des Unternehmens hat eine herausgehobene Funktion in Kalaycis SPD-Ortsverband Tempelhof-Schöneberg. Die Firma und das dort arbeitende Parteimitglied wollten sich nicht zu dem Komplex äußern. Gegen den Inhaber der Agentur wird wegen des Verdachts der Vorteilsgewährung ermittelt.

Falls die Staatsanwaltschaft einen direkten Zusammenhang zwischen Auftragsvergabe und etwaigen Vorteilen für Kalayci feststellt, hat sie die schwierige Aufgabe, herauszufinden, ob eine Straftat vorliegt oder der Vorgang lediglich Geschmäckle hat. Sollte sich der Verdacht nicht erhärten lassen, müsste das Verfahren eingestellt werden, wie es die Anwaltskanzlei der Ex-Senatorin prognostiziert.

Die CDU wird keine Ruhe geben - jedenfalls dann nicht, wenn sie nach der Wahl am Sonntag in der Opposition bleibt. "Die bisherigen Antworten reichen nicht", sagte Generalsekretär Evers, der den Vorgang als Beispiel für "das System SPD" und "Spitze des Eisbergs" betrachtet. Die Öffentlichkeit müsse erfahren, wieviel Steuergeld insgesamt an die Agentur geflossen und wie tief die SPD in die Affäre verstrickt sei. Dass sie es sei, zeigten schon die personellen Verstrickungen zwischen der Firma und Kalaycis Ortsverband. Die 6,7 Millionen Euro seien eine Menge. "Das ist aber nur die Zahl einer einzigen Senatsverwaltung. Wer weiß, wie viele Millionen es insgesamt sind."

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