Berlins Gesundheitssenatorin Kalayci: "Es ist nicht die Zeit für Partys" (2024)

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Berlins Gesundheitssenatorin Kalayci: "Es ist nicht die Zeit für Partys" (1)

SPIEGEL: Frau Kalayci, als Berliner Gesundheitssenatorin sind Sie in der Coronakrise stark gefordert. Kommen Sie überhaupt noch zum Schlafen?

Kalayci: Ich komme ohnehin mit wenig Schlaf aus, deshalb macht mir die jetzige Lage wenig aus.

SPIEGEL: Sie sind jeden Tag mit vielen Menschen zusammen, die an vorderster Front gegen das Virus kämpfen. Wie haben Sie sich persönlich in Ihrem Alltag umstellen müssen?

Kalayci: Ich halte die Hygieneregeln ein, wasche mir regelmäßig die Hände, halte den Abstand von 1,50 Metern und erwarte das auch von meinem Gegenüber. Ich mache fast alles über Telefonschaltkonferenzen. Auch im Krisenstab der Gesundheitsverwaltung ist nur noch jeder zweite Platz besetzt.

SPIEGEL: Berlin ist mit knapp 3,7 Millionen Einwohnern die größte Stadt in Deutschland, zugleich als Hauptstadt auch im internationalen Fokus. Warum hat der Senat so lange gebraucht, um Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus zu ergreifen?

Kalayci: Jede einzelne Entscheidung - damit steht Berlin nicht allein – ist eine schwierige Abwägung. Wir haben hier sehr früh umgesteuert, denken Sie nur an die Absage der Internationalen Tourismusbörse. Es gibt in einer Pandemie keinen Königsweg. Wir stehen in der Politik in dieser Krise grundsätzlich vor der Schwierigkeit, dass eine heute getroffene Maßnahme morgen schon überholt sein kann.

SPIEGEL: In Berlin gibt es in Teilen der Bevölkerung eine politisch und historisch gewachsene Abneigung gegen staatliche Maßnahmen. Was sagen Sie diesen Menschen?

Kalayci: Der Staat muss Vorsorge treffen, und er wird am Ende auch gebraucht, wenn die Lage sich verschlechtert. Wir fahren in Berlin eine doppelte Strategie – wir versuchen, die Infektionszahlen einzudämmen. Wir haben das Personal in den Gesundheitsämtern personell stark aufgestockt. Durch Maßnahmen wie die Schließung von Schulen, Kitas, Bars, Klubs haben wir die Kontaktmöglichkeiten reduziert.

SPIEGEL: Berlin lebt von seinem Image als liberale Stadt, als Stadt der jungen Menschen. Tut sich ein Teil der Bevölkerung deshalb besonders schwer, einschränkende Regeln zur Eindämmung von Corona einzuhalten?

Kalayci: Das ist leider so, vor allem manche der jungen Menschen verhalten sich sehr unvernünftig. Ich wiederhole es immer wieder: Es ist nicht die Zeit für Partys! Weder in Klubs noch in Parks.

SPIEGEL: Was beobachten Sie?

"Wenn es sein muss, muss der Staat auch Einschränkungen vornehmen"

Kalayci: Unter manchen jungen Leuten herrscht nach wie vor eine Haltung nach dem Motto: "Dann infizieren wir uns halt, weil es für uns mit einem leichten Krankheitsverlauf dann auch vorbei ist." Nur garantieren kann ihnen das niemand! Und es geht auch um die Gemeinschaft, insbesondere um die eigene Oma, um ältere Menschen in der Nachbarschaft, die angesteckt werden können und deren Corona-Verlauf tödlich sein kann. Aber es gibt auch die andere Seite Berlins: Viele junge Menschen sind sehr verantwortungsvoll, bieten sich an in der Nachbarschaftshilfe, zeigen sich sehr sozial. Diese solidarische Seite der Stadt gibt es auch.

SPIEGEL: Braucht Berlin doch eine Ausgangssperre oder zumindest "Ausgangsbeschränkungen", wie Sie am Freitag der bayerische Ministerpräsident Markus Söder als Erster verkündet hat?

Kalayci: Wir stehen am Anfang einer Epidemie und erwarten einen exponentiellen Anstieg. Das heißt: Wir stellen uns auf viele Covid-19-Patientinnen und -Patienten ein. Es ist nur noch eine Frage, in welchem Zeitraum diese versorgt werden müssen. Um eine Überforderung der Krankenhäuser zu verhindern, sind alle Maßnahmen der Entschleunigung zwingend erforderlich. Wenn es sein muss, muss der Staat auch Einschränkungen vornehmen. Auch im öffentlichen Raum. Denn große Menschenmengen in den Parks und Cafés sind Quellen für Infektionsketten.

SPIEGEL: Als 2015 sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland und nach Berlin kamen, gab es vielerorts chaotische Zustände. Von den Bildern profitierte enorm die AfD. Sind Sie als SPD-Politikerin auch deshalb in der Coronakrise besonders sensibilisiert, um Vorwürfe des "Staatsversagens" von rechts außen gar nicht erst aufkommen zu lassen?

Kalayci: In so einer Krisenzeit gibt es wenig Raum für Ideologie und Parteipolitik. Es geht um die Bewältigung ganz konkreter Dinge, die Menschenleben retten können. Wenn Parteien meinen, aus solch einer Situation Kapital schlagen zu müssen, dann ist das ein falscher Moment. Es geht um die Gesundheit der Menschen, nicht um ideologische Profilierung.

SPIEGEL: Berlin will zusammen mit der Bundeswehr ein Krankenhaus für 1000 Infizierte mit leichterem Krankheitsverlauf auf dem Messegelände einrichten lassen. Wird das ausreichen?

Kalayci: Wir haben ein dreistufiges System in Berlin entwickelt - die schwersten Krankheitsverläufe in der Charité, die Intensivfälle in anderen Krankenhäusern und die dritte Gruppe in weiteren Einrichtungen - zu denen das mit der Bundeswehr neu aufzubauende Corona-Behandlungszentrum auf dem Messegelände gehören wird. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass zu viele Covid-19-Patientinnen und -Patienten das Krankenhaussystem überlasten.

SPIEGEL: Nun hat Berlin, was Bauvorhaben angeht, bundesweit keinen besonders guten Ruf, siehe die seit Jahren verschobene Öffnung des Flughafens in Schönefeld. Wie schnell wird das Krankenhaus zur Verfügung stehen?

Kalayci: Ich bin zuversichtlich, dass wir das in Kürze aufstellen. Ich bin sehr froh, dass ich mit Albrecht Broemme, dem früheren Präsidenten des Technischen Hilfswerks, einen erfahrenen Experten gewonnen habe. Er koordiniert das Projekt, hat schon längst die Ärmel hochgekrempelt und losgelegt.

SPIEGEL: Welche Maßnahmen hat Berlin sonst noch eingeleitet?

Kalayci: Erstens wird das Zentrum für die Behandlung bei Lungenversagen in der Charité auch die Patientensteuerung vornehmen, sodass es je nach Schweregrad eine adäquate Versorgung gibt. Auch mit der Telemedizin wird die Charité Krankenhäuser unterstützen, die noch nicht über ausreichende Erfahrungen mit der Behandlung von Corona verfügen. Zweitens sind alle Krankenhäuser dabei, ihre Intensivbetten-Kapazitäten aufzustocken, was bereits geschieht. Und drittens hat der Senat per Rechtsverordnung verfügt, planbare Operationen schon jetzt zu verschieben.

SPIEGEL: Lassen Sie uns zur bundespolitischen Bedeutung der Krise kommen. Sie sind seit Januar auch Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder. Wie eng stimmen Sie sich ab?

Kalayci: Sehr eng, wir haben fast täglich Konferenzschaltungen der Länderministerinnen und -minister, auch mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. In einer solchen Zeit ist ein harmonisiertes Vorgehen gefragt und notwendig.

SPIEGEL: Der Föderalismus steht in der Coronakrise unter Druck. Braucht die Bundesrepublik zentrale Lösungen?

"Wir können uns jetzt keine Diskussionen über die Vor- und Nachteile des Föderalismus leisten"

Kalayci: Wir können uns jetzt keine Diskussionen über die Vor- und Nachteile des Föderalismus leisten, wir haben in dieser Krise nicht viel Zeit. Natürlich gibt es ein unterschiedliches Vorgehen in den Ländern bis hinein in die Kommunen - das wird nach dem Ende einer Krise sicherlich aufgearbeitet werden. Aber bitte alles zu seiner Zeit, nach Bewältigung der Krise.

SPIEGEL: Muss in den Beziehungen der Länder untereinander und zum Bund nachjustiert werden?

Kalayci: Unbedingt, da gibt es sehr, sehr viele Punkte, die mir einfallen. Wir stellen etwa fest, dass manche Bereiche - ohne jetzt in die Details gehen zu wollen - im föderalen System einfach kalt erwischt worden sind. So kannten manche Institutionen und Betriebe keine Pandemiepläne oder Krisenstäbe. Wir müssen auch über Themen wie die Bevorratung oder die Produktion von lebenswichtigen Gütern im medizinischen Bereich in Deutschland sprechen, die wir uns aktuell und zum Teil mühsam im Ausland beschaffen müssen.

SPIEGEL: Sind Sie mit der Krisenpolitik von Kanzlerin Angela Merkel eigentlich zufrieden?

Kalayci: Jetzt koordiniert sie die Krisenpolitik mit den Ländern. Auch ihr Appell an die Eigenverantwortung der Menschen war richtig. Es ist gut, dass sie das macht.

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Author: Kerri Lueilwitz

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